Ein etwas anderer Blick auf Venedig.
Antonio Morello wurde nach Venedig zwangsversetzt – angeblich zu seinem eigenen Schutz. Er hatte in seiner Heimatstadt Cefalú auf Sizilien einige Mafia-Größen innerhalb der Politik festgenommen. Gebeutelt von traumatischen Erlebnissen der Mafia-Racheaktionen muss sich der freie Hund nun um Gewaltverbrechen in Venedig kümmern. Und das ganz ohne ein ordentliches Team, denn die im Untergebenen haben eigentlich überhaupt keine Lust auf einen dahergelaufenen Süditaliener.
Gleich an seinem ersten Arbeitstag stellt er auf dem Weg zur Questura einen kleinen Gauner und landet dabei mitsamt seinem neuen Anzug in einem der zahlreichen Kanäle. Mit seinen eigenwilligen Methoden eckt er sehr schnell bei den Venezianern an und seine Ermittlungen werden zum Spießrutenlauf zwischen Mafiosi, Vorgesetzten und Kollegen.
Wer Antonio Morello besser verstehen möchte, muss auch verstehen, was für eine Vergangenheit er mit sich herumträgt. Dazu gehört nicht nur der jüngste erfolgreiche Schlag gegen die Mafia in seiner Heimatstadt. Auch in seiner Kindheit haben ihn so manche Dinge geprägt.
„»Wie geht die Geschichte weiter, Commissario?« – Morello trinkt einen Schluck. – »Don Michele machte meiner Mutter ein Angebot. Es war tatsächlich ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte. Er sagte: ›Signora Morello, du gehst wählen. Ich sage dir, welche Partei du wählen wirst. Dafür gebe ich euch jetzt das Geld, damit ihr Antonio morgen ein Paar neue Schuhe kaufen könnt.‹« – »Und dieses Angebot habt ihr angenommen?« – »Natürlich. Sofort.«“ (S. 173)
Nach dem ich schon einige der Dengler-Krimis von Wolfgang Schorlau gelesen hatte, war ich auf dieses Werk neugierig. Und ich muss sagen, ich wurde nicht enttäuscht. Die Hintergrundinformationen zum Mafia-Geschehen waren super recherchiert und würzen die fiktive Story noch einmal mit einer Extra-Portion Spannung. Ich hatte erst kürzlich Agromafia von Oliver Weiler gelesen, und beide Autoren brachten identischen Background in ihre Werke ein. Beeindruckend.
Mit Antonio Morello haben die beiden Autoren einen Protagonisten erschaffen, der durchaus auch an Commissario Montalbano von Andrea Camilleri erinnert. Kein Wunder, widmen sie dieses Buch sogar dem Erfinder von Montalbano. Morello ist ebenso ein Sturkopf und er setzt seinen Willen mit ganzer Kraft durch. Nur damit genügt er seinem eigenen Verständnis von Recht und Ordnung.
Meine geheime Heldin in diesem Roman ist Anna Klotze, auch die „Kampfmaschine“ genannt. Die Polizistin aus Triest ist ebenso mysteriös wie sympathisch. Und dabei bleibt sie undurchsichtig und verrät beispielsweise in diesem Band noch nicht welches Beuteschema sie favorisiert, als sie Morello notgedrungen während der Ermittlungen einen Kuss auf den Mund drückt. Alles in allem macht dieser Band Lust auf mehr und die vielen halbgaren Blicke in die Vergangenheit und die schön gezeichneten Figuren bieten dafür auch genügend Luft. Interessant fand ich auch den nüchternen Blick auf die von Touristen überlaufene Stadt Venedig und deren Probleme. Die durchaus kritischen Worte lassen Venedig in einem ungewöhnlichen aber immer noch sympathischen Licht erscheinen. Ich bin gespannt, wie es weiter geht.